Zwischen Schulbank und Feldarbeit

War früher alles besser? Dieses Jahr wird ein ganz besonderes Jubiläum gefeiert: 50 Jahre 1968. Die 68er-Bewegung gilt als gesellschaftlicher, politischer und sozialer Wendepunkt und sorgt auch in der heutigen Zeit noch für Diskussionen: War sie entscheidend für den Weg in die moderne Gesellschaft? Oder hat die Revolution Wertverlust und den Zerfall familiärer Strukturen bewirkt?

1955. Erdkunde, Rechnen und sogar Englisch stand auf dem Stundenplan der Kinder. Auf den ersten Blick kaum Unterschiede zu den heutigen Unterrichtsgegenständen. Früher wurde allerdings nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Respekt und Disziplin gelehrt.

Nach fünf Stunden Schulunterricht waren Hausaufgaben angesagt. Waren diese erledigt, haben sich manche Kinder am Spielplatz ausgetobt. Doch nicht alle hatten so ein Glück. Für einige hieß es nach der Schule: Feldarbeit. Die Kinder mussten ihren Eltern im landwirtschaftlichen Betrieb helfen und sich abrackern.

Gemeinsam statt einsam

Dennoch blicken viele mit einem guten Gefühl auf ihre Schulzeit zurück. Sie berichten von Zusammenhalt und einem großen Gemeinschaftsgefühl. Das wenige, das man hatte wurde geteilt. Zu dritt auf einem einzigen Fahrrad zur Schule gefahren, die Jause untereinander getauscht und Schulbücher wiederverwendet.

Geschlechtertrennung

Die Klassen waren zur damaligen Zeit schon gemischt. Bei der Einteilung mancher Fächer gab es aber wohl Unterschiede. Für Mädchen stand Handarbeit und Kochen auf dem Stundenplan. Burschen mussten währenddessen beim technischen Werken und Turnen ihr Bestes geben.

War früher wirklich alles besser?

Die Floskel „früher war alles besser“ hört man ziemlich oft. Doch hatten die Kinder in den 50er und 60er Jahren wirklich ein besseres Leben als die Kinder heute?

Im Interview: Anna Böhm

Anna Böhm, 72, ist in einem kleinen Dorf in Niederösterreich aufgewachsen. „Ich war mit meinem Bruder und meiner Schwester den ganzen Tag alleine.“, erzählt Anna Böhm. Ihr Vater ist schon früh verstorben. Ihre Mutter hat in einer Teppichfabrik gearbeitet, um die drei Geschwister versorgen zu können.

Frau Böhm ist 1955 in die Hauptschule gekommen: „In unserem Dorf gab es keine Hauptschule, wir mussten in die Nachbarortschaft.“ Das nächste Dorf war vier Kilometer entfernt. Kinder aus sechs verschiedenen Gemeinden besuchten diese eine Hauptschule. „Manchmal hat uns der Busfahrer einfach früher hinausgeworfen. Dann sind wir den Rest zu Fuß zur Schule gegangen.“, erzählt Anna Böhm.

„Wir hatten noch mehr Respekt“

Die Lehrer waren alle schon etwas älter. Legten großen Wert auf Disziplin. „Unsere Lehrer haben uns aber nie schlecht behandelt. Es hat zwar Strafen gegeben, wenn wer schlimm war, aber gewalttätig waren sie nicht.“. Auch Anna Böhm musste einmal eine Stunde in der Ecke stehen, weil sie ein Gedicht nicht auswendig aufsagen konnte.

„Wir hätten uns aber nie getraut eine Hausaufgabe nicht zu erledigen oder gar die Schule zu schwänzen. Dafür haben wir einen zu großen Respekt vor unseren Eltern und Lehrern gehabt. Nicht so wie die Kinder heute.“, sagte Anna Böhm mit einem Schmunzeln. Nur vor dem Schuldirektor haben sie keinen Respekt gehabt. „Wenn der zu uns »ihr unnedigen Hundsschädeln« sagt, dann haben wir natürlich nicht immer das gemacht was er wollte.“, lacht Frau Böhm.

Mit der Geschlechtertrennung hat Anna Böhm kein Problem gehabt. „Das war früher einfach so. Die Buben haben Turnen gehabt, während wir Mädchen gehäkelt haben. Handarbeiten hat mir aber viel Spaß gemacht, darum hab ich später auch eine Schneiderlehre angefangen.“, sagt Anna Böhm.

„Es war einfach anders“

„Meine Kindheit war schön. Wir haben zwar nicht viel gehabt, waren aber glücklich. Ich hab mit meinen Freunden nach der Schule auf dem Spielplatz gespielt oder am Feld bei der Ernte geholfen. Heute spielen die Kinder nur noch mit ihrem Handy.“

Auf die Frage, ob sie eine bessere Kindheit gehabt hat, als die Kinder heute, antwortet Anna Böhm: „Es war früher nicht besser. Aber auch nicht schlechter. Es war einfach anders.“