Wien

Die Wiener Drogenszene

Seit 27. April 2018 herrschen am Wiener Praterstern ein Alkoholverbot und erhöhte Polizeipräsenz. Es hätten sich davor an der Öffi-Drehscheibe zu viele Abhängige herumgetrieben. Aber ob ein lokales Verbot das Problem löst? Das sei dahingestellt. Fakt ist, dass die Politik mit dieser und ähnlichen Maßnahmen gegen die Wiener Suchtproblematik nach klassisch westlichem Ideal durch Symptombekämpfung vorgeht. Während das eigentliche Problem – wortwörtlich – im Untergrund weiterwächst.

Früher war es der Naschmarkt, dann der Donaukanal, danach der Karlsplatz. Die Wiener Drogenszene beschränkt sich nicht auf einen Ort. Sie wandert nomadisch dorthin, wo sie nicht vertrieben wird. Und das ist vielerorts. Denn obwohl Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) in Österreich seit den 2010er-Jahren angestiegen sind, scheint jene Herangehensweise das Problem nicht zu lösen. Beinahe täglich wird in den Schlagzeilen von Drogenrazzien berichtet. Dabei wird unterschätzt, dass Deals oft in unmittelbarer Nähe stattfinden. Das Netz des Drogenhandels spannt sich immerhin weit – vom unscheinbaren Nachbarn bis hin zur selbsternannten Wiener Elite, von dunklen Ecken in so mancher U-Bahn-Station bis auf die leuchtenden Tanzflächen lebendiger Wiener Nachtclubs. Und gerade an strategisch organisierten Orten des Drogenhandels fließt neben einer Vielzahl an berauschenden Substanzen vor allem eines: Jede Menge Geld.

Die Geschichte der Drogenszene

Die Drogenszene ist in Wirklichkeit der Teil des Drogenhandels, den die Öffentlichkeit wahrnimmt. Etwa wenn auf offener Straße konsumiert wird oder dort Kauf und Verkauf praktiziert werden. In Wien spricht man von einer „Drogenszene“ erstmals mit Beginn der 1970er-Jahre. Zu dieser Zeit entwickelten sich Drogen, vor allem unter Jugendlichen, zum Mittel der Problembewältigung. Konsumiert wurde anfangs im Volksgarten. Mit dem Entstehen der U-Bahn um das Ende der 1960er verlagerte sich die Drogenszene allerdings and den wohl bis heute bekanntesten Hotspot: den Karlsplatz. Grundsätzlich bat Untergrund für Konsumierende Schutz vor dem öffentlichen Auge. Am Karlsplatz jedoch schaffte sich die Drogenszene eine Hochburg. So wie die geographische Lage, wandelte sich zudem auch das Nutzungsverhalten in der Szene. Wo sie sich zunächst auf den Konsum von Cannabis und Halluzinogenen beschränkte, kam es nach und nach zunehmend zu Mischkonsum und dem gebrauch von Opioiden. Dadurch verlor die Szene ihren eher jugendlich experimentier-freundlichen Charakter und erschien nach außen hin zunehmend krank und verkümmert.

Die Drogenszene als politische Debatte

Diese neuen Muster trugen maßgeblich dazu bei, dass die Drogenszene als Problem wahrgenommen wurde. Nachdem bald auch wachsende mediale Aufmerksamkeit bestand und damit wiederum politische Debatten ausgelöst wurden, leitete die Politik strengere Maßnahmen in die Wege. Durch polizeiliche Präsenz wurde der Karlsplatz für die Drogenszene zunehmend uninteressant und sie begann sich zu dezentralisieren. Wichtige Standorte seit dem Beginn dieser Fragmentierung sind, beziehungsweise waren, etwa die U-Bahnstationen Kettenbrückengasse, Pilgramgasse, Margaretengürtel, Westbahnhof, Längenfeldgasse, Schottenring, sowie die Donauinsel um den Copa Beach, die Josefstädter Straße, um der Schwedenplatz. Später auch die Gegend um die U-Bahnstation Handelskai und der Praterstern.

Maßnahmen der Politik

Am Falle des Karlsplatz lassen sich die durchgeführten politischen Maßnahmen in Bezug auf die Drogenszene wohl am deutlichsten demonstrieren. Dort wurde nämlich eine Schutzzone durch die Polizei eingerichtet. Das allein hätte vermutlich jedoch nicht dazu geführt, dass sich die öffentliche Szene an einen neuen Ort verlagert. Daher muss unterstrichen werden, wie auf die Problematik weiter eingegangen wurde. Beispielsweise in Form einer Studie die Suchterkrankte befragte. Daraus ging hervor, dass sich jene mehr Betreuungsmöglichkeiten wünschten. Dies setzte die Stadt Wien durch das Errichten diverser Suchthilfe-Stellen um. Außerdem ließ die Stadt um den Karlsplatz mehrere Müllkübel und Bänke platzieren, um Passant*innen die Chance zu bieten, suchtkranken Menschen weitgehend ausweichen zu können, ohne dass diese aus öffentlichen Bereichen verbannt werden mussten.

Die Gegend um die Karlskirche galt noch bis vor einigen Jahren als Drogenhotspot. Mittlerweile ist sie beinahe drogenfrei.

Der Weg der Drogen und die Dealerszene

In den meisten Fällen handelt es sich bei Dealern in Wien um sogenannte „Kleindealer“, also solche Händlern, deren Verkauf sich auf ein eher kleines Format beschränkt. Die Drogen haben ihren Ursprung größtenteils außerhalb von Europa. Je nachdem um welche Droge es sich handelt, stammen diese etwa aus Südwestasiatischen Ländern wie Afghanistan oder Pakistan (Heroin), aus den Sahelstaaten (Kokain) oder aus Ländern Südamerikas (Kokain). Diese erreichen aber größtenteils europäische Häfen, sowie vereinzelte Flughäfen und werden über die Landroute nach Österreich transportiert. Wie in den meisten Ländern herrscht auch in Österreich eine ausgeprägte Hierarchie im Drogenvertriebs. Einzelne Drogenringe, mit Verwaltungen wie in tatsächlichen Unternehmen, vermitteln die Drogen an Kleindealer weiter, welche dann über den Schwarzmarkt Kontakte auf der Straße pflegen. Gegen einige dieser großen Drogenbanden gehen die Wiener Polizei und die WEGA vor. Im Zuge dessen gibt es beinahe laufend Razzien und Verhaftungen. Besonders relevant ist jedoch, dass abgesehen von vielen unbekannten Gesichtern in der Dealerszene auch prominente Personen immer wieder mit Drogenhandel in Zusammenhang gebracht werden. Etwa der der Wiener Gastronom Martin Ho. Dieser ist Besitzer mehrerer Wiener Lokale, wie etwa „404 – Don’t Ask Why“ und „Dots Establishment“ im 7. Bezirk, sowie den Nachtclubs „VIE i Pee“ und „Pratersauna“. Außerdem ist Ho ein Freund des Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Das investigative Online-Medium „ZackZack“ hat sich bereits mehrfach mit dem Thema Drogenhandel in etwa der Pratersauna auseinandergesetzt und dabei auch Martin Ho impliziert. Dazu schleuste das Magazin einen Undercover-Journalisten in den Club ein, welcher dort über Mitarbeiter des Lokals an Drogendealer gelangte. Schenkt man der Berichterstattung von „ZackZack“ Glauben, dann geschieht in Martin Hos Lokal also tatsächlich organisierter Drogenhandel. Er wurde allerdings bis dato nicht dafür verhaftet.

Legalisierung statt Kriminalisierung?

Wer in der Wiener Drogenszene nun tatsächlich das Steuer in der Hand hält, lässt sich nur sehr schwer feststellen. Man kann davor ausgehen, dass zumindest die Polizei eine wage Ahnung davon hat, wer oder wie Viele an der Spitze der Hierarchie stehen. Diese Informationen gelangen aber nicht einfach so an die Öffentlichkeit. Eines lässt sich jedenfalls hinterfragen: Macht es überhaupt Sinn, gegen Drogengebrauch und -handel mit Kriminalisierung und Illegalisierung vorzugehen? In mehreren anderen Ländern wird das Drogenproblem ganz anders gehandhabt. In Portugal ist beispielsweise seit 2001 jeglicher Besitz von Drogen (bis zu einer gewissen Menge) straffrei. Kanada und Teile der USA haben bereits vor einigen Jahren zumindest den Konsum von Cannabis legalisiert. Auch Deutschland hat eine solche Legalisierung im Jahr 2021 angekündigt. Und obwohl nicht überall von äußerstem Erfolg gesprochen wird (jedoch schlimmstenfalls von keiner Veränderung), hat die Legalisierung von Drogen auch andere Vorteile. Etwa können durch die Verstaatlichung des Drogenverkaufs die Prozesse der Drogenherstellung genauer überwacht werden und der Staat kann davon Steuern einnehmen. Das bedeutet etwa, dass nicht mehr so viele oder beinahe keine Drogen mehr im Umlauf wären, die mit gefährlichen Substanzen gestreckt sind. Außerdem würde man im Zuge der Legalisierung auch die kriminellen Schattenorganisationen hinter dem Drogenschmuggel und -verkauf zerschlagen, die es ansonsten sowieso gibt.

Klar erscheint, im Vergleich zu anderen Ländern behandelt die gegenwärtige Strategie der österreichischen Politik nicht ausreichend die Wurzeln des Problems. Stattdessen vielmehr die Symptome. Kleindealer, welche beinahe täglich gefasst werden, spielen auf lokaler Ebene eine Rolle. Sie tragen aber nicht zu den maßgeblichen, internationalen Drogenprozessen bei, die in Österreich zu Problemen führen. Und auch das Zerstören eines ganzen Drogenrings lädt in den meisten Fällen nur den nächsten Ring ein, in das sprichwörtliche Rampenlicht zu treten. Es geht vielmehr darum zu hinterfragen, ob nicht der Drogenkonsum selbst aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten ist.

(Titelbild: © Vienna U-Bahn“ by Jorge FranganilloCC BY 2.0, Foto: © Vienna: Karlskirche“ by Jorge FranganilloCC BY 2.0)

Quellen:

https://www.derstandard.at/story/2000079058754/die-pop-up-treffs-der-wiener-drogendealer

https://www.researchgate.net/publication/268046669_Die_Wiener_Drogenszene

https://www.vice.com/de/article/qbadpq/geschichte-von-wiens-drogenumschlagplaetzen

https://www.bmi.gv.at/magazinfiles/2011/09_10/files/suchtmittelbericht_2010.pdf

https://kaernten.orf.at/stories/3090876/

https://www.derstandard.at/story/2000042539163/was-passiert-wenn-ein-land-alle-drogen-legalisiert

Anna Samide

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Anna Samide

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