Opioide in Österreich: Im Gespräch mit dem Verein Dialog

Laut Drogenbericht 2021 konsumieren in Österreich bis zu 37.000 Menschen Opioide in einer gefährlichen Menge. Im internationalen Vergleich ist diese Zahl hoch. Und trotzdem sprechen wir in Österreich nicht von einer Krise, wie etwa in den USA. Der Verein Dialog in Wien beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema der Opioid-Abhängigkeit. Deswegen hat goschat.at den Verein zu einem Gespräch eingeladen.

goschat.at: Seit wann gibt es den Verein Dialog?

Ursula Zeisel ist psychosoziale Leiterin des Verein Dialog

Ursula Zeisel: 1979 wurde der Verein gegründet, 1980 wurde er in Betrieb genommen.

goschat.at: Worin bestehen Ihre zentralen Aufgaben?

Ursula Zeisel: Einerseits Behandlung und Betreuung von Menschen mit einer Suchtproblematik. Wir betreuen zudem Angehörige von Personen die Suchtmittel konsumieren und nicht wissen wie sie damit umgehen sollen. Auch Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen. Außerdem informieren wir die Gruppe der am Thema Sucht Interessierten und haben eigenen Standort, an dem es um Prävention geht.

goschat.at: Wird in Ihrer Arbeit unterschieden zwischen verschiedenen Drogen?

Ursula Zeisel: Prinzipiell gibt es natürlich unterschiedliche Behandlungsformen, je nachdem mit welcher Substanz ich ein Problem habe. Es muss nicht ein Ziel sein, dass jemand keine Substanzen mehr konsumiert. Sondern es geht darum, trotz eines Substanzkonsums die Lebensqualität zu verändern. Natürlich gibt es Behandlungsempfehlungen die man bei verschiedensten Substanzen geben muss. Zusätzlich wird natürlich immer geschaut welche Ursache dahintersteckt, um diese zu behandeln.

goschat.at: Können Sie mir erzählen, was Opioide* in Österreich für eine Rolle spielen?

Ursula Zeisel: Man spricht in Österreich von etwa 37.000 Menschen die Opioid*-abhängig sind. Im Gegensatz zu Alkoholabhängigen, zum Beispiel, ist das eine sehr kleine Zahl. Wichtig ist bei den Opioiden aber, dass man sehr rasch sehr abhängig wird. Und Thema bei den Opioiden* ist auch die Drogenszene*, zu der eben eine offene Szene gehört. Deswegen sind Opioid-Abhängige auch schon sehr lange im Fokus der Behandlung, der Betreuung und eben der Öffentlichkeit.

💡 Opioide sind betäubende Schmerzmittel halb- oder gänzlich synthetischer Herkunft.

💡 Opiate sind betäubende Schmerzmittel, die aus der Schlafmohn-Pflanze hergestellt werden. Sie sind also natürlicher Herkunft.

💡 Sowohl Opioide, als auch Opiate sind rezeptpflichtig. Außerdem sind beide stark abhängig machend. Daher sind sie auch am Schwarzmarkt sehr beliebt (z.B. Heroin, Fentanyl oder Oxycodon).

💡 Die offene Drogenszene beschreibt Milieus, in welchen illegale Drogen trotz ihres Verbots auf offener Straße konsumiert werden. Dazu zählen in Wien weniger als 1000 Leute. Der Großteil der Abhängigen lebt Sucht abseits der Öffentlichkeit aus.
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goschat.at: Welche zählen in Österreich zu den am häufigsten konsumierten Opioiden?

Ursula Zeisel: Teilweise Heroin. Wobei in Österreich das Angebot der Drogenersatztherapie sehr groß ist. Das heißt sehr viele Menschen sind auch sehr rasch in Behandlung und konsumieren nur noch wenig Heroin und stattdessen Morphium-Ersatzpräparate. Diese Substitutionsmittel sind auch am meisten genutzt, zum Beispiel Substitol. Hier einerseits wieder die verschriebenen, anderseits das was man auf der Straße oder dem Schwarzmarkt bekommt.

goschat.at: Welche Opioide können am schnellsten zu einer Abhängigkeit führen?

Ursula Zeisel: Alle. Wenn ich 20 Tage lange Opiate zu mir nehme, werde ich relativ sicher körperlich abhängig sein. Gerade bei Menschen denen es psychisch nicht sehr geht ist das gefährlich. Denn durch die Opiate stellt sich oft ein sehr wohliges, weiches, warmes Gefühl ein und das wollen sie immer wieder haben.

goschat.at: Gibt es eine Gruppe von Menschen in welcher auffällig mehr Leute abhängig werden?

Ursula Zeisel: Traumatisierungen sind zum Beispiel auf jeden Fall etwas, was sehr viele von diesen Menschen gemein haben. Auch das Alter macht einen Unterschied. Die meisten Menschen lernen eher in den jungen Jahren Substanzen kennen, weil man als Jugendlicher einfach experimentiert, Dinge ausprobiert und weil der Zugang da ist. Es gibt aber auch solche die nach irgendwelchen Schicksalsschlägen, in schlechten Phasen ihres Lebens, auch später dazu kommen. Unsere Klient*innen sind außerdem zu zwei Drittel bis drei Viertel Männer. Das hängt aber wahrscheinlich eher damit zusammen, dass man es nicht so leicht schafft, an Frauen heranzutreten.

goschat.at: Sie haben bestimmt schon von der Drogenproblematik in Nordamerika gehört. Man spricht dort von einer Opioid-Krise, weil es so viele Abhängige gibt und Viele an einer Überdosis sterben. Warum müssen wir in Österreich nicht von einer Krise sprechen?

Ursula Zeisel: Ich denke, das ist einfach ein anderes System in Amerika. In Amerika ist die Opioid-Krise vor allem entstanden, weil sehr viele Mediziner*innen dort sehr rasch opioidhaltige Medikamente verschreiben. Bei uns wird das viel seltener verschrieben, gerade bei körperlichen Schmerzen. Und das wird dann auch eindeutig als Suchtmittelrezept kategorisiert.

goschat.at: Was kann getan werden, wenn es zu einer Opioid-Überdosis kommt?

Ursula Zeisel: Erste Hilfe. An einer Opioid-Überdosis stirbt man relativ schnell. Das heißt man muss sofort Erste Hilfe Maßnahmen setzen. Zuerst die Rettung rufen, die führen einen dann auch durch den Prozess bist jemand vor Ort ist. Oftmals aber direkt eine Herzmassage, damit es nicht zum Herzstillstand kommt. Sobald ein Arzt oder eine Ärztin da ist, können auch Gegenmittel gespritzt werden. Es gibt aber generell viel Scheu davor die Rettung zu rufen, obwohl das das Wichtigste ist. Passiert das nicht, können andere sogar wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden.

goschat.at: Wie kann unser Gesundheitssystem die Tendenz zur Drogen-Sucht (gerade durch verschreibungspflichtige Medikamente) positiv beeinflussen?

Ursula Zeisel: Da gehört glaube ich mehr dazu als das Gesundheitssystem. Auch gesellschaftliche Tendenzen und Entwicklungen. Es wird wahrscheinlich nie eine suchtfreie Gesellschaft geben. Aber umso mehr ich Leute darin unterstütze ein glückliches Leben zu führen, desto weniger brauchen sie vielleicht Suchtmittel. Wenn man sich zum Beispiel den Alkohol anschaut, ist dieser hier sehr akzeptiert, kulturell verankert und hat sozusagen ein hohes Ansehen. Deswegen ist das Suchtpotenzial sehr hoch. Mit Haltungen und Werten die man vermittelt, kann man also natürlich auch etwas bei Menschen bewirken.

goschat.at: Es geht also eher um präventive Aufklärung, um diesen Werte anders zu vermitteln?

Ursula Zeisel: Das glaube ich schon. Prävention muss man von Anfang an machen, also sobald Kinder klein sind. Wobei es natürlich erst ab einem bestimmten Alter Sinn macht, Informationen über Suchtmittel zu geben. Davor geht es darum Lebenskompetenzen zu stärken und Wahlmöglichkeiten darzubieten. Junge Menschen sollten sich Fragen stellen wie etwa: Wie kann ich mich entspannen? Wie genussfähig bin ich? Wie beziehungsfähig bin ich? Wir sollten einfach unterstützen, damit Kinder nicht zu einem späteren Zeitpunkt etwas in einem Suchtmittel finden, was ihnen fehlt.

goschat.at: Wie könnte man das Thema „Sucht“ im Zuge der Prävention leichter zugänglich machen?

Ursula Zeisel: Es macht wirklich Sinn, einfach darüber zu reden und es als normales Thema zu sehen. In Firmen beispielsweise ist es allerdings immer gut, wenn es von oben nach unten geht. Die Führungskräfte sollten die ersten sein, die sich damit beschäftigen. Und dann sollten sie es zum Thema machen. Ich glaube dann tun sich Mitarbeiter*innen auch leichter zu sagen, wenn es ein Problem gibt. In Schulen sollte man ernst nehmen, dass Sucht ein Thema ist, das gerade junge Menschen betrifft. Daher muss man eben dort einerseits durch die Verbreitung von Informationen, andererseits durch Prävention ansetzen. Und das Risiko zum Schutz von Jugendlichen möglichst minimieren.

goschat.at: Gibt es noch etwas, das Sie den Leser*innen im Hinblick auf dieses Thema gerne mitgeben möchten?

Ursula Zeisel: Wenn ich Substanzen konsumiere, geht es immer darum sich vorab zu informieren und Schutzmaßnahmen zu treffen. Und bei Opioiden ist das noch wichtiger, weil eine Überdosierung relativ leicht tödlich enden kann. Das muss einem bewusst sein.

goschat.at: Vielen Dank für das Interview!

Mehr Information zum Verein Dialog findet ihr hier.

Mehr Information zur Wiener Drogenszene findet ihr hier.

(Titelbild: © „Drugs“ by Images_of_Money, CC BY 2.0., Foto: © Anna Samide)

Quellen:

https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/opioide#was-sind-opioide-und-wie-wirken-sie?

https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/medikamentensucht/schmerzmittel-mischanalgetika-opiate-opioide#was-sind-opiate-und-opioide