Traumberuf? Zeit, aufzuwachen.
Fragt man fünfjährige Kinder, was ihr Traumberuf sei, bekommt man klare Antworten. Feuerwehrfrau, Lehrer, Astronautin. Doch auf YouTube posten immer mehr junge Erwachsene Videoessays mit Titeln wie: „I do not have a dream job“ (dt.: Ich habe keinen Traumjob). Auch in Österreich herrscht Druck, auf einen gut bezahlten, „erfüllenden“ Posten hinzuarbeiten – doch was passiert, wenn das niemand mehr möchte?
Widerstand gegen die traditionelle Arbeit
Eine Gruppe von Menschen hat der geregelten Erwerbsarbeit jedenfalls bereits den Kampf angesagt. Verfechter*innen der sogenannten Anti-Work-Bewegung sind nicht zentral organisiert. Sie teilen aber die Meinung, dass traditionelle Arbeit die Menschen unfrei und unglücklich macht sowie an ihrer persönlichen Entfaltung hindert. Manche Anhänger*innen nehmen ihre Anti-Work-Ansichten aus der Strömung des Anarchismus. Dieser wiederum richtet sich gegen jede Art von staatlichen Strukturen und Unterdrückung. Gemäßigtere Kritiker*innen finden bloß, dass die Arbeit einen viel zu hohen Stellenwert in unserem Leben einnimmt. Das Verhältnis zur Freizeit und zum „echten Leben“ verzerrt sich immer mehr. Das Ziel der Bewegung ist nämlich nicht, jede Art von Arbeit zu vermeiden. Stattdessen soll diese auf echte Bedürfnisse beschränkt und nicht mehr auf Profit im Überschuss ausgerichtet werden.
Der Beitrag zur Gesellschaft
Dass es von erwachsenen Menschen erwartet wird, zu arbeiten, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Damit sich die Gesellschaft aufrechterhalten und weiterentwickeln kann, braucht es Ärzt*innen, Forscher*innen, Kassierer*innen und vieles mehr. Komplizierter wird es schon, wenn man betrachtet, dass gerade für das System hochrelevante Jobs katastrophal bezahlt werden. Man braucht nur an Pflege- oder Reinigungskräfte zu denken. Dem gegenüber stehen in der Begriffswelt der Anti-Work-Bewegung die „bullshit jobs“. Darunter versteht man Berufe, die quasi keinen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen, aber viel Geld abwerfen. Bei dieser Joblandschaft ist es kein Wunder, dass viele junge Menschen zu dem Schluss kommen: „I do not dream of labour“ (dt.: Ich träume nicht von Arbeit).
I do not dream of labour
Dies wirkt auf den ersten Blick nicht wie eine besonders radikale Aussage. Aber bereits vor dem Teenageralter bereitet die Berufsorientierung auf das Arbeitsleben als Endziel vor. Sie vermittelt Kindern, dass sie sich auf ihre persönlichen Stärken und Vorlieben konzentrieren sollen, um den richtigen Bildungsweg einzuschlagen und eines Tages einen sicheren und erfüllenden Beruf – einen „Traumberuf“ – zu finden. Das ist eine ganze Menge Druck, die man in einem so jungen Alter auferlegt bekommt. Denn es herrscht große Konkurrenz am Arbeitsmarkt, was „Traumjobs“ betrifft. Nur mit viel Glück kann man eine Stelle ergattern, die nicht nur gut bezahlt ist, sondern auch Freude bereitet. Nicht einmal harte Arbeit oder ein Universitätsabschluss sind mehr eine Garantie für eine Karriere. Das können ältere Generationen oft nicht nachempfinden, denn die Arbeitswelt wird immer schnelllebiger und selektiver. Es bleibt dann nicht mehr viel Raum, darüber nachzudenken, ob man sich mit dem eigenen Job selbst verwirklicht.
Vom Hobby zum Beruf
Sogar wenn man es geschafft hat, das Hobby zum Beruf zu machen, muss das nicht bedeuten, dass man glücklich mit dieser Wahl ist. Im Gegenteil beklagen Kreative immer wieder, dass sie die Freude am Erschaffen verloren haben, seit sie finanziell darauf angewiesen sind. Für die Gestaltung der Freizeit bleibt dann kaum mehr schöpferische Energie. Grafikerin Andrea findet: „So etwas wie einen Traumjob gibt es gar nicht. Manchmal kann Arbeit auch lustig sein, aber ich würde das auf Dauer nie freiwillig machen.“ Ihre 40-Stunden-Woche findet sie nur schwer erträglich. Zumindest 30 Stunden wären ihr lieber, damit sie sich endlich wieder privaten Kunstprojekten und akademischen Interessen widmen könnte.
Keine Freude mit Freunderlwirtschaft
Wer noch vor dem Abschluss der Ausbildung steht, kann sich wie Studentin Isabel oft gar keine Vorstellung davon machen, welche Möglichkeiten sich danach auftun könnten – und welche nicht. „Ich habe mich in letzter Zeit öfters wo beworben, aber dann wirklich genommen zu werden, ist superschwierig“, erzählt sie. Denn egal wie sehr man das Privatleben zurücksteckt, um einen guten Lebenslauf auf die Beine zu stellen und mit einer Spitzenausbildung zu glänzen: „Jobs werden immer mehr über Freunderlwirtschaft vergeben.“ Zu diesen ersten ernüchternden Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt kommt, dass das Gehalt der angebotenen Jobs zu wünschen übrig lässt. Dennoch muss irgendwann ein Beruf her. „Ich habe Angst, dass ich dann etwas arbeiten muss, was mich absolut nicht interessiert.“
Der Job als Erfüllung
Manche junge Menschen haben den Traum vom Traumjob aber noch nicht aufgegeben. Biotechnologiestudentin Vanessa strebt eine Karriere in der Forschung an. Obwohl sie einen genauen Plan hat, wie sie ihr Ziel erreichen möchte, macht sie sich manchmal Sorgen, ob sie den Herausforderungen des Feldes gewachsen ist. Etwas anderes kommt für sie jedoch nicht in Frage, auch wenn das bedeutet, Opfer zu erbringen: „Mir ist Freizeit schon wichtig, aber ich könnte keinen Job annehmen, der mich nicht erfüllt.“
Arbeit neu denken…
Vielleicht lautet das Gebot der Stunde, das Konzept vom Traumjob loszulassen. Man kann durchaus einen Job annehmen, den man zwar nicht liebt, der einen aber über Wasser hält. Die persönliche Entfaltung kann in der Freizeit genauso stattfinden wie im Beruf. „Lebensziele und Berufsziele sind zwei unterschiedliche Dinge“, wie es eine Jus-Studentin zusammenfasst. Man könnte zu einer ähnlichen Haltung finden wie Softwareentwickler Maximilian, der zumindest Frieden mit seiner Tätigkeit geschlossen hat. „Für mich gibt es keinen Traumjob. Ich habe lange gedacht, dass ich den finden muss, aber das hat mich eigentlich nur gestresst.“ Nun konzentriert er sich auf die positiven Seiten seines Berufs, wie von überall arbeiten zu können und ständig Neues zu lernen. Natürlich hätte er gern mehr Freizeit, um seinen Interessen nachzugehen, doch er hat sich mit der Realität angefreundet.
…oder eine Veränderung der Rahmenbedingungen?
In der Praxis könnte man auch einfach die Arbeitswoche verkürzen. Der Ökonom John Maynard Keynes behauptete schon 1930, man würde hundert Jahre später nur noch 15 Stunden arbeiten müssen. Dem haben wir uns jedoch noch nicht einmal angenähert, obwohl zahlreiche Studien eine hohe Produktivität auch bei geringerer Stundenzahl bestätigen. Alle befragten jungen Erwachsenen würden sich von ihrem Job mehr Freizeit wünschen, wenn es sich finanziell ausgehen würde.
Ein politischer Lösungsvorschlag gegen zunehmende Existenzängste ist das bedingungslose Grundeinkommen. Anfang Mai 2022 unterschrieben 2,66% der Österreicher*innen ein Volksbegehren, das einen monatlichen Fixbeitrag für jede Person fordert. Somit muss der Antrag im Nationalrat besprochen werden. Die Umsetzung scheint jedoch noch in weiter Ferne zu liegen. Als Grund dafür lassen sich einerseits der enorme Finanzierungsaufwand, andererseits kontroverse Diskussionen dazu vermuten. Eine Sorge ist zum Beispiel, dass es mit einem so dichten Sicherheitsnetz keinen Anreiz mehr gäbe, zu arbeiten. Dies sehen junge Menschen jedoch ganz anders: „Ich würde trotzdem arbeiten wollen. Dann könnte ich das verfolgen, was ich wirklich machen möchte – nur mit weniger Stress“, meint Isabel. Auch Paul, der gerade zur Überbrückung kellnert, findet: „Arbeiten ist (fast) immer ein Beitrag zur Gesellschaft und ein fixer Bestandteil des Lebens.“
Von einer radikalen Anti-Work-Haltung sind junge Österreicher*innen also weit entfernt. Dennoch lassen sich große Unsicherheiten und zunehmender Druck in der Arbeitswelt nicht leugnen. Den Sorgen einer neuen Generation von Arbeitenden muss mehr Gehör geschenkt werden. Im Idealfall kommt es so auch einmal zu politischen Änderungen, die Arbeit lebenswerter gestalten.
Bildnachweis: „Hammock“ by Stuart, CC BY 2.0
Weiterführende Links
Wikipedia: Anti-Work [deutsch]