Psychische Gesundheit: Der Elefant im Klassenraum

Die Initiator*innen des Volksbegehrens.

Knapp ein Fünftel der 10-19-Jährigen in Österreich leidet unter psychischen Problemen. Dennoch wird nicht offen genug über Depressionen, Angstzustände und andere mentale Schwierigkeiten gesprochen. Ein nachhaltiger Lösungsansatz steht bisher aus. Um das zu ändern, hat die Schülerunion ein Volksbegehren ins Leben gerufen. goschat.at hat mit der Initiatorin Carina Reithmaier darüber gesprochen.

goschat.at: Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Jugendliche im Bereich mentale Gesundheit zu kämpfen haben?

Carina Reithmaier: Zum einen die durch Corona verstärkte soziale Isolation. Es ist oft einfach leichter, sich abzukapseln. Es gab auch sehr viel Frustration, oft durch so banale Sachen wie Veranstaltungsabsagen, nicht feiern gehen oder sich nicht mit Freund*innen treffen zu können. Wobei man auch sagen muss: Die Corona-Pandemie hat wie eine Lupe für dieses Problem gewirkt. Denn die psychische Belastung unter Kindern, Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen ist auch schon davor ständig gestiegen, zum Beispiel durch die Digitalisierung. Vor allem in den sozialen Medien wird viel Druck erzeugt, ein perfektes Leben zu führen, dem man irgendwie gerecht werden muss.

goschat.at: Die Situation hat sich also durch Corona verschlechtert – hat die Pandemie das Volksbegehren angestoßen oder hat es vorher schon Pläne für ein solches Projekt gegeben?

Carina Reithmaier: Die Planung begann erst dieses Jahr. In unserer Organisation haben wir uns die Frage gestellt: Was machen wir für die Schüler*innen? Wo drückt der Schuh gerade am meisten? Dann begann ein großer Prozess, zu dem viele Leute beigetragen haben. Sie haben erzählt, was sie in ihrer Schule mitbekommen und was die Kinder und Jugendlichen beschäftigt. Vor allem ein großes Thema ist wirklich in jedem Klassenraum in ganz Österreich präsent: Die psychische Gesundheit bei jungen Menschen. Obwohl ich vor Corona maturiert habe, weiß ich, dass das auch damals schon Thema war. Trotzdem hat nie jemand darüber geredet, es war der Elefant im Raum. Da haben wir gesagt, wir können nicht nichts tun. Und dann kam das erste Mal die Idee mit dem Volksbegehren auf.

goschat.at: Was hat die Politik in diesem Bereich bisher versäumt?

Carina Reithmaier: Jetzt kam ja ein Paket vom Gesundheitsministerium, „Gesund aus der Krise“. Das ist ein netter Anfang. Aber es ist einfach zu wenig. Es braucht noch viel mehr, vor allem – da möchte das Volksbegehren ansetzen – im Bereich der niederschwelligen Angebote und der Prävention. Das Ziel ist, dass es gar nicht erst zu dramatischen Entwicklungen kommt. Die Kinder und Jugendlichen sollen über das Thema aufgeklärt werden und lernen, wie man auch auf die mentale Gesundheit achten kann, nicht nur auf die körperliche.

goschat.at: Wie sehen die konkreten Forderungen knapp zusammengefasst aus?

Carina Reithmaier: Wir konzentrieren uns auf die Schule, denn dort verbringen Kinder und Jugendlichen die meiste Zeit. Da wollen wir an drei Bereichen ansetzen.
Erstens: Früherkennung und Prävention. Lehrpersonen sollen aufgeklärt werden. Aber auch Erziehungsberechtige, zum Beispiel mit Infomaterial: an welchen Anzeichen erkenne ich, dass es meinem Kind nicht gut geht, was kann ich tun und was soll ich Expert*innen überlassen?
Ein zweiter Punkt ist mehr Schul-Support-Personal. Der Zugang zu Schulpsycholog*innen muss niederschwelliger werden, im Moment gibt es noch viele kleine Hürden für die Schüler*innen.
Und ein letzter Punkt ist, dass das Thema der psychischen Gesundheit im Unterricht im Lehrplan verankert werden muss. Zum Beispiel im Biologie- oder Psychologieunterricht soll es Prävention durch Aufklärung geben.

goschat.at: Wer hat diese Forderungen ausgearbeitet?

Carina Reithmaier: Wir haben mit vielen betroffenen Personengruppen geredet: Direktionen, Lehrpersonen, Eltern, aber auch Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, Jugendcoaches, Psychiater*innen… Wir wollten möglichst viel Input von Expert*innen, damit das Volksbegehren auf evidenzbasierten Beinen steht und wir das Problem an der Wurzel packen. Wenn das umgesetzt wird (und das wünschen wir uns), soll sich wirklich etwas ändern. Wir haben über Monate hinweg an diesen Forderungen gefeilt.

goschat.at: Wie schafft man am besten öffentliches Bewusstsein für dieses Volksbegehren?

Carina Reithmaier: Durch möglichst viel mediale Präsenz. Auf Social Media machen wir viel, weil gerade das die Kinder und Jugendlichen erreicht. Was mich am meisten freut: Im Rahmen dieser Initiative arbeiten wir mit vielen weiteren Organisationen, Unternehmen, Vereinen und NGOs zusammen. Die helfen uns auch, Personen in ganz Österreich zu erreichen.

goschat.at: Welche Unterstützer*innen sind besonders in Erinnerung geblieben?

Carina Reithmaier: Zum Beispiel KroneHit, die von unserer Initiative sehr begeistert sind. Mit denen haben wir sogar einen gemeinsamen Podcast namens „Gut, und selbst?“ gestartet. Es gibt mehrere Folgen zum Thema psychischer Gesundheit. Ein weiteres Highlight war die Kooperation mit Ö3.

goschat.at: Was kann man als Einzelperson dazu beitragen, die Situation zu verbessern?

Carina Reithmaier: Einerseits ab von 2. bis 9. Mai das Mental Health Jugendvolksbegehren zu unterschreiben. Jede Unterschrift zählt, auch Weitersagen hilft.
Auf der anderen Seite wollen wir im Rahmen der Initiative jetzt schon etwas tun, weil das Volksbegehren eher langfristig gesehen für Veränderung sorgen soll. Jede Person kann etwas beitragen: Guten Freund*innen die Frage „Wie geht’s dir?“ stellen und ehrlich zuhören. Und auch umgekehrt ehrlich sein, wenn man die Frage gestellt bekommt. Denn es muss einem nicht immer gut gehen, und man darf darüber reden. Man sollte auch vermehrt die Initiative ergreifen, wenn eine Person im eigenen Umfeld sich nicht gut zu fühlen scheint, und sie konkret darauf ansprechen. Vielleicht stößt man auf ein wenig Unmut, aber es sind kleine Dinge wie diese, die einen vielleicht eher Hilfe suchen lassen, wenn man sie braucht.

Carina Reithmaier ist Studentin, Bundesobfrau der Schülerunion und Initiatorin des Volksbegehrens „Gut, und selbst?“

(Fotos: © gutundselbst.at)

Von 02.05.2022-09.05.2022 findet die Eintragungswoche statt. In diesem Zeitraum kann man das Volksbegehren online oder in einem Eintragungslokal unterschreiben.

Zur Website: https://gutundselbst.at/

Zum Podcast: https://www.kronehit.at/podcast/gut-und-selbst/