Gift als Heilmittel
Kann Nikotin vor der Corona-Infektion schützen?
Fünf Monate nach der Verkündung des Rauchverbots in Österreich macht eine neue Studie des französischen Krankenhauses La Pitié-Salpêtrière Schlagzeilen: Nikotin kann helfen, sich vor der Corona-Infektion zu schützen. Bisher galten RaucherInnen als Risikogruppe mit möglichen schweren Krankheitsverläufen. Doch wie ernst ist diese Studie zu nehmen?
Nur wenige RaucherInnen unter Corona- Erkrankten
Zurückzuführen ist diese zunächst fragwürdige Annahme auf den Fakt, dass nur eine niedrige Rate von 1,5 bis 12,5 Prozent der Corona- Erkrankten RaucherInnen waren, wie ForscherInnen in Frankreich und China im Zuge ihrer Untersuchungen feststellten. Auch die neueste Studie aus Frankreich stützt die Annahme und zeigt, dass von 500 Erkrankten nur etwa 22 Personen angaben, täglich zu rauchen.
Nikotin bremst Viruszellen aus
Doch wie kann nun Nikotin, ein Nervengift, dabei helfen, sich nicht mit dem Virus zu infizieren? Den französischen ForscherInnen zufolge scheint das Nikotin die Viruszellen bei ihrer Vermehrung auszubremsen und verhindere bei schweren Verläufen auch eine Überreaktion des Immunsystems. Professor Jean-Pierre Changeux vom Institut Pasteur und dem Collège de France erklärte, dass Nikotin an den Zellrezeptoren haftet, die sonst vom Coronavirus genutzt werden würden. Somit könne das Virus nicht in die Zellen eindringen und sich im Organismus verbreiten. Laut ForscherInnen könnte der fragliche Zellrezeptor auch die Vielfalt der Symptome von Covid-19 erklären.
Was bedeuten diese neuen Erkenntnisse?
Das neugewonnene Wissen soll nun in weiteren Studien erforscht werden. Laut Professor Zahir Amoura soll durch die geplante Studie mit verschieden dosierten Nikotinpflastern untersucht werden, ob beispielsweise Pflegekräfte vorsorglich mit Nikotinpflastern geschützt und PatientenInnen behandelt werden können. Über mögliche Folgen für die Betroffenen wird bislang nicht gesprochen.
Kein Grund zum Rauchen
Auch wenn es so scheint, als wären RaucherInnen geschützter, so ist es dennoch kein Grund, mit dem Rauchen anzufangen. Schädliche Stoffe wie Teer und auch das Abhängigkeitspotential, sind für die Gesundheit dennoch gefährlich. Erwin Kotlan, Trafikant und Mitglied der Berufsvertretung der TabaktrafikantInnen, warnt vor einem Anstieg an Nikotinabhängigen: „Wenn Nikotin als Heilmittel verwendet wird, ist es durchaus möglich, dass es mehr Nikotinabhängige geben wird. Jede Medikation kann zu Suchtverhalten führen […]. Heikel ist es vor allem bei Kindern und Jugendlichen.“ Des Weiteren sieht er Zigaretten und Tabak als sensible Genussprodukte, die definitiv nicht als Arznei beworben werden dürfen. Rauchen erhöht nicht nur das Risiko für Lungenkrankheiten, sondern gilt auch als Risikofaktor für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Störungen.
Nikotin-Produkte bald Mangelware?
„Die Tabakindustrie wird den Sektor der Tabakersatzprodukte noch stärker fokussieren. Am Tabak-Rauch-Sektor wird sich nichts ändern“, so Erwin Kotlan. In Frankreich hat man hingegen seit Freitag den Verkauf von Nikotinpflastern und anderen Ersatzprodukten eingeschränkt, um möglichen Hamstereinkäufen vorzubeugen und gesundheitliche Risiken durch exzessiven Konsum oder Missbrauch einzudämmen. Der Verkauf im Internet wurde ganz untersagt. Laut Erwin Kotlan sei die Nachfrage in Wien noch nicht spürbar gestiegen. Selbst wenn RaucherInnen seltener an Covid-19 erkranken sollten, ist jedoch nicht klar, welcher Bestandteil dafür verantwortlich wäre. Dass es am Nikotin liegen könnte, ist derzeit nur eine Vermutung der französischen ForscherInnen.