Die Zukunft des Tourismus
Die Corona-Krise hat viele Wirtschaftszweige hart getroffen. Vor allem der Tourismus leidet unter dem Virus und den Gegenmaßnahmen. Er wird voraussichtlich nach COVID-19 nicht mehr derselbe sein wie davor. Über mögliche zukünftige Entwicklungen sprachen wir mit Prof. MMag. Dr. Harald Friedl. Professor Friedl, Jurist und Philosoph, lehrt seit 2004 angewandte Tourismuswissenschaften an der FH Joanneum in Bad Gleichenberg.
goschat: Wie wird der Tourismus nach der Corona-Krise aussehen? Kommt es zu einem langfristigen Einbruch von Auslandsreisen?
Friedl: Urlaubsreisen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark in unserer Gesellschaft verankert. Auslandsaufenthalte sind modern und gelten als Kompetenzerweiterung. Das verschwindet nicht von heute auf morgen. Ich vertrete die These, dass es nach der Pandemie wieder einen sehr starken Drang geben wird, ins Ausland zu reisen.
goschat: Glauben Sie nicht, dass die Angst vor dem Virus viele Reisende hemmt?
Friedl: Das mit der Angst ist so ein Thema. Nach Terroranschlägen halten sich Menschen nicht lange zurück, das hat man beispielsweise in der Türkei gesehen. Der Mensch gewöhnt sich sehr schnell an neue Gegebenheiten. Die Sehnsucht nach der Ferne sitzt tief.
goschat: Wie kann die Tourismusbranche krisenresistenter werden?
Friedl: Der Tourismus in Österreich und Südtirol beispielsweise hängt stark vom deutschen Markt ab. Es wird notwendig sein, sich stärker auf den Inlands-Markt zu fokussieren. Österreich und Südtirol haben eine enorme Vielfalt an Landschaft und Kultur anzubieten. Meist reicht es, das was man hat, in einem neuen Kontext zu präsentieren. Hier sind Kreativität und Hirnschmalz gefordert.
goschat: Was würden Sie zusätzlich empfehlen?
Friedl: Die zunehmende Komplexität in der Tourismusbranche verlangt immer mehr nach Zielgruppenanalysen. Das ist nicht einfach. Man muss wissen, wie die Leute leben und was sie für Bedürfnisse haben. Ein guter Touristiker sollte Sozialwissenschaftler, Marketingfachmann und Manager in einem sein, oder wenigstens gute Berater haben.
goschat: Die Corona-Krise ist nicht die einzige Krise, die die Menschheit momentan zu bewältigen hat. Wie wichtig ist es für die Tourismusbranche, ihren Fokus auf Nachhaltigkeit zu legen?
Friedl: Wir dürfen Nachhaltigkeit nicht immer als etwas Externes betrachten. Die Erde ist unser Wohnzimmer. Wenn unser Wohnzimmer verpestet und vermüllt ist, wird es uns bald schlecht gehen. Dabei werden die Kosten für unseren ausufernden Lebensstil vorerst an ärmere Länder und nächste Generationen abgewälzt.
goschat: Wie würde ein nachhaltiger Tourismus aussehen?
Friedl: Ein nachhaltigkeitsorientierter Tourismus verbraucht möglichst wenig Ressourcen, verursacht möglichst wenig Emissionen, hat eine möglichst hohe regionale Wertschöpfung und führt zu einer möglichst geringen Veränderung von bestehenden sozialkulturellen Systemen. Ein Kreuzfahrtschiff beispielsweise bringt einer Zielregion maximale Belastung und minimalen Mehrwert. Auch der Flugverkehr verursacht viel zu hohe Emissionen. Dabei könnte ein Großteil des Ferntourismus sicher durch Inlands-Tourismus ersetzt werden. Neuseeland hat das kürzlich in einer Studie für sich festgestellt. Während viele Regionen ohne Flugverkehr wohl nicht so gut leben könnten. Wobei sich hier die Frage stellt: Was brauchen wir wirklich, damit es uns gut geht? Schwer zu sagen in einer Gesellschaft, die sich an Statussymbolen orientiert. Eine Immobilienmaklerin beispielsweise mit einem sparsamen Kleinwagen hat in unserem kulturellen Verständnis keinen Erfolg. Man muss es sich leisten können, auf Prestige zu verzichten.
goschat: Hat das Phänomen Overtourism auch etwas mit Statussymbolen zu tun?
Friedl: Eine Urlaubsreise gilt als Statussymbol und Social Media multipliziert seine Funktion. Je öfter Leute den Eiffelturm auf Instagram sehen, desto mehr werden ihn besuchen. Je mehr Leute den Eiffelturm besuchen, desto mehr Fluglinien fliegen nach Paris. Das führt zu billigeren Flügen und wiederum zu mehr Besuchern und so weiter. Overtourism ist das schönste Beispiel für das Scheitern der Ideologie des freien Marktes. Auch Corona zeigt erneut auf, dass uns maßlose Effizienzsteigerung und grenzenlose Gewinnmaximierung immer wieder an die Wand fahren. Wenn wir nicht bald Ethik und Nachhaltigkeit fest in unsere Systeme verankern, wird die nächste Krise nicht lange auf sich warten lassen.