Pflege-Studentin im Interview: „Psychisch gelange ich oft an meine Grenzen“

An österreichischen Fachhochschulen ist die Praxis Programm. FH-Studierende müssen während des Bachelors mindestens ein verpflichtendes Berufspraktikum absolvieren. Dieses findet im Rahmen der Ausbildung statt und wird daher nicht bezahlt. Im Fall des Studiengangs Gesundheits- und Krankenpflege absolvieren Studierende ein Plichtpraktikum pro Semester. Sie stoßen dabei an ihre physischen und psychischen Grenzen, ohne nur einen Cent für ihre harte Arbeit zu erhalten. Die 21-jährige Christina (Name von der Redaktion geändert) gibt im Interview mit goschat! Einblicke in ihren Alltag zwischen Praktikum, Prüfungen und Studienaufgaben.

Goschat!: Hallo Christina. Du studierst Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Wien. Wie viele Praktika durftest du seit Antritt bestreiten?

Christina: Ich befinde mich derzeit am Ende des dritten Semesters und absolviere demnach gerade mein drittes Pflichtpraktikum. Seit Beginn meines Studiums war ich im Bereich Altenpflege, im OP und auf einer Covid-Station tätig. Jedes meiner Praktika findet im Ausmaß von jeweils 250 Wochenstunden statt und streckt sich über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten. Das bedeutet, dass ich in der Regel an drei bis vier Wochentagen arbeiten muss.

Goschat!: Läuft der Studienbetrieb nebenbei wie gehabt weiter?

Christina: Glücklicherweise nicht. Normal habe ich jeden Tag circa 8 Stunden Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht. In der Zeit des Praktikums fallen diese weg. Vereinzelt haben wir die Praxisreflexion, bei der wir das Erlebte besprechen. Abgesehen davon finden keine Vorlesungen statt. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich nach einem langen Arbeitstag einfach ins Bett legen kann. Die regelmäßigen Prüfungen und Studienaufgaben gilt es nebenbei zu bewältigen.

Goschat!: Das klingt nach einem enormen Arbeitsaufwand. Wie kommst du damit zurecht?

Christina: Ehrlich gesagt ist das manchmal eine große Herausforderung. Natürlich körperlich, aber vor allem auch psychisch gelange ich oft an meine Grenzen. Neben den 30-40 Wochenstunden im Praktikum muss ich spät abends noch lernen oder meine Studienaufgaben erledigen. Zusätzlich muss ich schauen, wie ich mir mein Leben überhaupt noch leisten kann. Derzeit arbeite ich nebenbei in einem Café. Da wäre mir sehr geholfen, wenn das Praktikum bezahlt wird. Auch die Tätigkeiten im Praktikum selbst sind herausfordernd. Oft werde ich ganz normal in den Pflegealltag eingespannt, obwohl ich noch nicht auf dem Wissenstand einer diplomierten Pflegekraft bin.

Goschat!: Wie sieht die Arbeitsteilung aus? Welche Tätigkeiten darfst du als Praktikantin überhaupt verrichten?

Christina: Ich nehme mein erstes Praktikum als Beispiel. Da war ich bereits nach meinem vierten Tag im Pflegeheim in den ganzen normalen Arbeitsalltag involviert. Ich habe alleine Patient*innen gewaschen und ihnen Medikamente verabreicht. Aufgrund des Personalmangels und Krankenständen wurde ich teilweise als Ersatz für diplomierte Pflegekräfte eingesetzt.

Goschat!: Wie war das auf der Covid-Station?

Christina: Ursprünglich war ich auf der Rheumatologie eingeteilt. Erst bei einem Telefonat habe ich erfahren, dass die Station gerade mit Leuten gefüllt ist, die schwer an Covid erkrankt sind. Das war ein großer Schock, den ich erstmal verdauen musste. Es war mein erstes Praktikum in einem Krankenhaus und dann gleich auf einer Covid-Station. Das war mein bisher herausforderndstes Praktikum. Auch, weil ich dem ständigen Risiko einer Infektion ausgesetzt war. Die Covid-Gefahrenzulagenzahlung habe ich als unbezahlte Praktikantin nicht erhalten. Corona ist wohl für Praktikant*innen nicht so gefährlich wie für ausgebildete Pflegekräfte. (lacht)

Goschat!: Gibt es eine Situation, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Christina: Ja. Aufgrund des Personalmangels auf der Covid-Station musste ich alleine in ein 6-Bett-Zimmer gehen, um pflegerische Tätigkeiten zu verrichten. Dort erwartete mich eine Reizüberflutung. Denn der Aufenthalt auf der Station ist auch für die, mehrheitlich älteren, Patient*innen eine große psychische Belastung. Sie liegen den ganzen Tag krank und alleine im Zimmer und haben niemanden, mit dem sie ihre Ängste teilen können. Trotz Schutzausrüstung sind wir als Personal darauf angewiesen möglichst wenig Zeit mit ihnen zu verbringen. Als ich den Raum betreten habe, wollten mir alle Patient*innen gleichzeitig etwas mitteilen. Ein paar haben geschrien wie am Spieß, eine Patientin hat geweint und eine weitere war von oben bis unten mit Stuhl beschmiert. Mir ist bewusst, dass das ein harter Job ist, aber wie soll eine Praktikantin in der ersten Woche so etwas bewältigen?

Goschat!: Was kann in der Organisation deines Studiums bzw. Praktikums besser gemacht, um solche Situationen zu vermeiden?

Christina: Ich würde die praxisanleitenden Personen gerne besser kennenlernen. In der Regel sind diese oft nicht da oder fühlen sich nicht zuständig für uns. Es wäre sehr hilfreich, wenn ich in der ersten Woche des Praktikums alles erklärt bekomme und der Praxisleitung über die Schultern schauen kann anstatt sofort in den Alltagsbetrieb eingespannt zu sein. Als Beispiel nehme ich das Legen eins Blasenkatheters. Ein Schema nachdem vorgegangen werden könnte ist: zuerst nur zuschauen, dann angeleitet machen und dann erst alleine probieren, aber immer noch in Anwesenheit der Praxisleitung. Auch Anfangsgespräche vor Antritt zum Praktikum, welche es nur sehr selten gibt, erweisen sich als hilfreich für Studierende.

Ein weiterer Punkt sind die Studienaufgaben. Ich finde diese fressen während des Praktikums nur Zeit, verursachen zusätzlichen Stress und tragen nicht viel zum Lernprozess bei. Außerdem sollte die Arbeit unbedingt bezahlt werden, denn sie hat einen enormen Wert. Ein angemessener Lohn würde die Praktika aufwerten und allen Studierenden der Gesundheits- und Krankpflege das Leben erleichtern.

Titelbild:Cmdr. Nelle Linz dons personal protective equipment before entering the intensive care unit to treat patients aboard USNS Comfort (T-AH 20).“ by Official U.S. Navy Page, CC BY 2.0