Poetry-Slam: Worte mit Wertung

Poetry-Slams folgen einem einfachen Rezept. Man nehme einen schwach beleuchteten Raum, füge ein paar Sessel für ein aktives Publikum hinzu, und lasse die Performer*innen auf einer Bühne für die Würze des Abends sorgen. Garniert wird das Ganze mit einer Prise Wettbewerb: Wer den Zuhörenden den eigenen Text am überzeugendsten vorträgt, gewinnt.
Aber was abseits der Bühne passiert, beweist: Hinter diesen Veranstaltungen steckt viel mehr.

Die Poesie nicht verstauben lassen

Der Begriff „poetry“ darf beim Slam nicht zu eng gefasst werden. In den seltensten Fällen werden hier brave Sonette oder Gedichte nach abab-Reimschema vorgetragen. Stattdessen kommt es immer mehr auf einen kreativen und überraschenden Vortrag selbstverfasster Texte an. Denn das Publikum erwartet, unterhalten oder zumindest berührt zu werden. Das verlangt Slammer*innen (vor allem anfangs) einiges an Mut ab.

Einzug einer Kunstform

1986 in Chicago entstanden, ist der Poetry-Slam nun auch im deutschsprachigen Raum eine Institution. Die Szene hier ist im weltweiten Vergleich sehr gut ausgebaut. Mittlerweile gehören deutschsprachige Poetry-Slams zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe. Dass man auch in Österreich stets mehrere solcher Veranstaltungen pro Woche besuchen kann, war jedoch nicht immer so. Einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat Diana Köhle. Als sie 2003 nach Wien zog, war sie verwundert, dort keine regelmäßigen Poetry-Slams vorzufinden. Eines Abends entschied sie, diese Lücke selbst zu schließen, und fand die passende Location für das Vorhaben noch in derselben Nacht. „Zu Beginn war die Szene noch sehr klein. Aber bald mussten wir ständig neue Orte suchen, weil immer mehr Leute kamen“, berichtet sie über die Anfänge.

Die österreichische Slam-Landschaft

Seitdem hat sie die Wiener Slam-Szene gewissermaßen großgezogen. Bis zum heutigen Tag bildet ihr Slam B einen Fixpunkt. Lange Zeit war er im Literaturhaus zu Hause, ab Herbst zieht er ins Filmhaus um. Dabei treten einmal im Monat Dichter*innen nach bewährter Rezeptur gegeneinander an. „Die Bewertung ist das wichtigste – sonst ist es nur eine Lesung“, betont Köhle. „Den Leuten im Publikum gefällt es, dass sie einbezogen werden und sich nicht nur berieseln lassen.“ Bewertungen können durch die Applaus-Lautstärke erfolgen, bei manchen Veranstaltungen werden auch Juror*innen erkoren, die Punkteschilder hochhalten. So zum Beispiel bei den österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften, die es seit 2008 gibt. Der Slam nimmt also neue Dimensionen an. Nachdem Köhle mit innovativen Formaten experimentiert hatte, kam sie zu dem, was sie ihr „Herzensprojekt“ nennt: Dem Tagebuch-Slam. Seit 2013 lesen Freiwillige regelmäßig im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) aus ihren Jugendtagebüchern vor. „Dort wird so herzhaft und befreit gelacht wie sonst selten.“

Diana Köhle als Moderatorin beim Tagebuch-Slam. (c) anna konrath

Ein bisschen underground

Die Szene ist in den letzten Jahren stark gewachsen und hat sich diversifiziert. Bekannte Gesichter wie Elias Hirschl, 2022 für den Bachmannpreis nominiert, konnte man zuerst auf einer Slam-Bühne erblicken. Poetry-Slam schafft es ins Volks- und Burgtheater. Dennoch lässt sich seit der Pandemie ein Rückgang erkennen. Dass weniger Leute kommen, macht Veranstalter*innen zu schaffen. Für die Qualität ist es jedoch kein Fehler, wenn der Slam nicht zum Massenphänomen wird: „Ich mag, dass es ein bisschen underground ist, da trauen sich Leute eher, sich auszuprobieren“, räumt Köhle ein. Mitmachen kann nämlich jede*r, der*die selbst Texte verfasst und einmal auf der Bühne stehen möchte. „Manche Leute sind anfangs furchtbar. Aber das ist ganz egal, sie lernen mit jedem Mal dazu.“ Wichtig sei nur, man selbst zu sein – je verschrobener und schräger, desto besser. Nur mit einem eigenen Stil schafft man, sich aus dem Einheitsbrei hervorzuheben, der sich in der Szene zusammenzubrauen droht. „Viele Leute sehen sich Slam-Videos auf YouTube an und versuchen dann, immer denselben Singsang zu imitieren.“

Five minutes of fame

Dennoch rät die Veranstalterin allen Interessierten, ihr Glück auf der Bühne zu versuchen: „Wo hat man sonst seine five minutes of fame?“ Obwohl Diana Köhle selbst als Moderatorin vor dem Mikrofon steht, kann sie für den Großteil ihrer eigenen Arbeit nicht einmal one minute of fame genießen. Was die wenigsten sehen: Vor, nach und zwischen den Veranstaltungen gilt es, bereits die nächsten zu bewerben. Zu Social Media-Marketing kommen Newsletter und Websiteverwaltung. Kontakte müssen nicht nur mit den Slammer*innen, sondern auch mit den Zuständigen für Sponsoring und Location aufrechterhalten werden. Zusätzlich trägt Köhle die Verantwortung für das gesamte Event: „Bis zum Auftritt bin ich nie entspannt.“

Nie genug vom Slam

Trotz allem hat sie hart dafür gearbeitet, die Nische des literarischen Wettstreits zu ihrem Hauptberuf zu machen. „Es ist einfach faszinierend zu sehen, wie viele Leute eigentlich schreiben und was aus ihnen wird. So viele unterschiedliche Menschen aller Altersklassen – das hat man sonst nur bei Familienfeiern.“ Wer neugierig ist, einen Poetry Slam selbst zu erleben, dem sei der Slam B angeraten, der am 29.09. erstmals im Filmhaus stattfindet. Köhles nächste Veranstaltung ist ein Tagebuch-Slam mit Pride-Motto am 29.06.

Events und Links

29.06.2022: Tagebuch-Slam – IKEA Pride Edition

Juli 2022: Jeden Mittwoch Tagebuch-Slam bei USUS am Wasser

29.09.2022: SlamB im Filmhaus

Beitragsbild: (c) anna konrath