12 Semester Studium, 12 Wochen unbezahlte Praktika und mündliche Prüfungen im Wochentakt stehen zwischen bestandenem Aufnahmetest des MedATs und dem Dr. Med. univ. -Titel. Trotz nicht dezentem Arbeits- und Lernaufwand bewerben sich jährlich allein in Wien über 6000 Menschen für das Studium der Humanmedizin, von denen nur ungefähr 700 aufgenommen werden. Die intrinsische Motivation liegt oft darin, die Gesundheit anderer Menschen zu schützen. Aber was ist dabei mit der Eigenen? Zwei Medizinstudentinnen im Gespräch mit Goschat.
Jeder kennt sie, diese Person, die stolz berichtet, sie werde Medizin studieren. Aber wie bei einem inszenierten Instagrampost, ist die Realität dahinter doch oft anders als die perfekte Fassade anfangs erahnen lässt. Das sechsjährige Studium ist als System aus über mehr als 20 Blöcken aufgebaut, die meist parallel zu weiteren Line-Elementen, also weiteren Kursen, positiv absolviert werden müssen. Jeder einzelne von den Blöcken ist mit intensivem theoretischem Lern- und praktischem Arbeitsaufwand verbunden – wobei allein Block Sechs, der vergleichsweise nur mäßig schwer sei, eine kleine Ausnahme darstellt.
„Manchmal weiß ich nicht, wie ich das schaffen soll“, so Hannah*, Medizinstudentin im vierten Semester. Sie war immer Klassenbeste und das Jonglieren von Verantwortungen und sozialem Leben fiel ihr stets leicht. Doch selbst sie stößt immer wieder an ihre geistigen sowie körperlichen Grenzen. Denn einmal für ein paar Tage „nicht zu funktionieren“ und sich nicht an den Lernplan zu halten, ist aufgrund strenger Regelungen für die Prüfungsantritte keine Option. Für jede Prüfung gibt es insgesamt nur drei Antritt Möglichkeiten, wobei auch ein krankheitsbedingtes Fehlen zu einem „Nicht Bestanden“ im Zeugnis und einem verlorenen Antritt führt – und hier wurden auch zu Pandemiezeiten keine Ausnahmen gemacht. “Im Februar hat mich Corona erwischt. Ich sah den positiven Selbsttest und gab meinem Körper eine Nacht Zeit, sich davon zu erholen. Mehr war nicht drinnen, ich musste lernen“, erzählt Franziska*, Medizinstudentin im zweiten Semester. Beide jungen Frauen gestanden im Gespräch, trotz recht starker Coronaerkrankung an den Campus gegangen zu sein und somit gegen etliche Pandemiegesetze und Sicherheitsmaßnahmen verstoßen zu haben. Die Maske hätten sie getragen, den Abstand bestmöglich eingehalten und das schlechte Gewissen runtergeschluckt. „Ich hatte Prüfungen zu absolvieren. Wäre ich nicht erschienen, hätte ich alles wiederholen müssen – in einer Zeit, in der bereits die nächste Prüfungsphase stattfand. Mir ging es körperlich wirklich nicht gut. Ich wäre gerne zuhause geblieben. Aber ich wusste, dass ich das Semester nicht schaffen werde, wenn ich jetzt im Bett liegen bleiben würde“, so Hannah.
„Durch die Vorschriften der Prüfungsanwesenheiten wird uns bereits während des Studiums eingetrichtert, dass ein Arzt kranke Menschen heilt und kein Platz dafür ist, selbst mal krank zu sein“, erklärt Franziska. Zeit für den Körper, sich mal von stressigen Zeiten zu regenerieren, bleibt also keine. Wenn immer nur geleistet werden muss, wird es früher oder später in einem Burnout enden. Es ist kein Medizinstudiumabschluss notwendig um zu wissen, dass das für keinen menschlichen Körper gesund ist – der spätere Berufsweg spielt hier keine Rolle.
Im Schlafzimmer wird beim Freund am Arm herumgewedelt anstatt an anderen Körperteilen – denn Blutabnehmen wird geübt! Und der morgendliche Frühstückskaffee wird begleitet von kleinen Anekdoten über die Leiche, an der im Kurs aktuell herumgeschnipselt und -gedoktert wird.
Dass der Aufnahmetest zum österreichischen Studium die größte Herausforderung der medizinischen Ausbildung wäre, scheint nur ein weitverbreiteter Mythos zu sein. Und so muss sehr oft das Heute der Studierenden für das Morgen der Anderen hergegeben werden.
Auf die Frage, ob es denn auch ruhigere Phasen gäbe, antwortet Franziska, natürlich mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme: „Ja, wenn wir an dem ganzen Stress gestorben sind, dann wird es ruhiger werden“. Zu wieviel innerer Überforderung das Studium in seinem herkömmlichen Aufbau unter Studierenden führt, sollte keineswegs unterschätzt werden. Denn ob das der Weg ist, den das österreichische Bildungssystem einschlagen möchte – und ob dieser in gesamtgesellschaftlicher sowie menschlicher Hinsicht effizient ist-, bleibt zumindest für Goschat fraglich.
*Namen wurden von der Redaktion geändert.
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