Niemand schenkt dir Rechte!
Im Gespräch mit Mugtaba Hamoudah
Rund 50.000 Leute gingen am 4. Juni 2020 auf die Straßen der Wiener Innenstadt, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Der Student Mugtaba Hamoudah (19) hat unter anderem zusammen mit der Politikerin Mireille Ngosso die Wiener „Black Lives Matter“-Demo initiiert und organisiert.
goschat: Welche konkreten Forderungen wurden bei der BLM-Demo gestellt? Welche Slogans waren besonders einprägsam?
Mugtaba: Es wurden immer wieder Slogans wie „No justice, no peace“ und „Black lives matter“ gerufen. Konkrete Forderungen sind, dass es zunächst einmal eine unabhängige Meldestelle für Polizeigewalt in Österreich geben sollte, dass Fälle aufgearbeitet gehören und dass Anti-Rassismus-Schulungen bei der Polizei gemacht werden sollen. Denn in Österreich gibt es einige – acht oder neun – Fälle von Polizeigewalt, bei denen schwarze Menschen ermordet worden sind. Wenn man sich im Vergleich anschaut, wie viele weiße Menschen durch Polizeigewalt gestorben sind, ist das, relativ gesehen, ein enormer Unterschied. Institutionalisierte Gewalt ist nämlich eine Ausprägung von White Supremacy und dem weltweiten System, in dem wir leben.
goschat: Was ist das für ein Gefühl, eine der größten Wiener Kundgebungen seit Jahren mitgestaltet zu haben?
Mugtaba: Das Gefühl war „oarg“. Wir haben nicht erwartet, dass es so viele Leute werden. Normalerweise interessieren sich nur wenige für schwarze Leute oder für Rassismus. Es wird nur ganz banal über Alltagsrassismus gesprochen, und nicht über strukturellen Rassismus. Aber voll schön zu sehen, dass so viele Leute dafür zusammengekommen sind.
goschat: Welche organisatorischen Herausforderungen musstet ihr meistern?
Mugtaba: Organisatorisch herausfordernd war vor allem, damit umzugehen, dass immer mehr Leute zur Demo kommen wollten. Am Anfang war eine Kundgebung für 200 bis 500 Menschen geplant und dann wurden es doch einige mehr. Als aus einer Kundgebung plötzlich eine Demonstration wurde, mussten wir einiges abklären und die Route checken und so weiter.
goschat: Wieso mobilisiert genau dieses Thema momentan so viele Leute?
Mugtaba: Meiner Meinung nach war entscheidend, dass das Video von George Floyd so viele Leute mitgenommen hat. Im Vergleich: Paar Wochen vorher wurde Ahmaud Arbery auf offener Straße erschossen, nur weil er joggen war. Auch davon gibt es ein Video. Diese 20-Sekunden sind aber vermutlich mental nicht das Gleiche, wie ein Acht-Minuten-Video, in dem ein Mann (George Floyd) auf dem Boden um sein Leben bettelt.
Es ist schlimm, dass es erst sowas braucht, dass Leute überhaupt realisieren, was am System falsch ist.
goschat: Gab es Kritik im Anschluss an die Demo? Beispielsweise bezüglich des Sicherheitsabstandes?
Mugtaba: Es ist immer wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass Demonstrieren ein Grundrecht ist. Man muss Menschenrechte nicht abhängig von einer Pandemie machen. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass man Sicherheitsabstände einhalten soll. Wir hatten um die 50 Ordner/innen, standen in Kontakt mit der Polizei und haben sogar Schneiderinnen kontaktiert, die auf der Demo selbst noch Masken verkauft haben. Wir haben versucht, an alles zu denken.
goschat: Wie schätzt du die Lage ein: Glaubst du, dass es momentan nur so ein “Hype-Thema” ist, über das in einem Monat niemand mehr sprechen wird? Oder habt ihr schon weitere Aktionen geplant?
Mugtaba: Wir wollen, dass es ein größeres Thema wird und haben uns jetzt auch mit den Leuten von der Freitagsdemo zusammengesetzt. Damals haben wir die beiden Demos unabhängig voneinander organisiert, weil wir zu dem Zeitpunkt noch nicht vernetzt waren. Weitere Demos sind in Planung: Die nächste ist am 2. Juli. Wir hoffen, dass es nicht beim „Hype“ bleibt und arbeiten daran, das Thema präsent in der Gesellschaft zu halten.
goschat: Wie und wo begegnest du Rassismus hier in Österreich?
Mugtaba: Wo ich Rassismus in Österreich begegne? Das ist eigentlich Blödsinn, weil man begegnet Rassismus überall: in der Schule, in der Arbeit, mit der Polizei, auf der Straße, bei der Busstation,… Es ist ein allgegenwärtiges Thema und es heißt nicht umsonst Alltagsrassismus: Es begleitet einen alltäglich durch das Leben.
goschat: Hast du Tipps, wie man zusätzlich zu einer solidarischen Haltung im Alltag gegen Rassismus aktiv werden kann?
Mugtaba: Ja, eine solidarische Haltung im Alltag ist ganz wichtig. Vor allem, dass man den Mund aufmacht und das eigene Privileg nutzt, um Menschen auf Missstände aufmerksam zu machen. Beispielsweise kann man den Nazi- Opa beim Familien-Essen konfrontieren, wenn er was Unangebrachtes sagt.
Aber es sollte einem auch bewusst sein, dass Rassismus ein System ist. Wir sind alle Rassist/innen, weil wir in einer rassistischen Gesellschaft rassistisch sozialisiert worden sind. Es geht vor allem darum, sich zu bilden und zu versuchen, die Inhalte mithilfe eigener Plattformen weiter an neue Menschen heranzutragen.
goschat: Was unterscheidet deiner Meinung nach die Protestbewegungen in Österreich von jenen in den USA?
Mugtaba: Ich glaub der Unterschied bei uns ist, dass wir gerade keinen Akut-Fall haben. Wenn Leute „No justice, no peace“ sagen, kann ich das verstehen. Stell dir vor, es wird jemand ermordet und die Polizist/innen werden nicht eingesperrt. Dass die Leute dann eskalieren und härter werden im Protest kann ich absolut nachvollziehen. Oft hört man: „Warum geht es nicht auch friedlich in den USA?“ Alle Rechte wurden durch härtere Proteste oder durch Riots erkämpft: Frauenrechte, Arbeiter/innenrechte, Queer-Rechte,… Niemand schenkt dir Rechte. Und deshalb finde ich es einfach naiv zu behaupten, es gehe auch anders.
goschat: Sprache schafft Bewusstsein. Bei welchen Aussagen oder Fragen sollte eine weiße Person mehr auf ihre Ausdrucksweise achten?
Mugtaba: Bei allem! Ich könnte dir jetzt eine lange Liste von Dingen geben, die man nicht sagen sollte. Aber es ist schwer, weil wie gesagt: Sprache schafft Bewusstsein. Und Sprache ist rassistisch konnotiert. Ich glaube, es geht dabei um Selbstbildung. Meiner Meinung nach ist das der Bildungsauftrag an jede Einzelperson: Mal zu googeln und bereit zu sein, diese Arbeit selbst zu machen.